Das Projekt *.txt geht in die zweite Runde und ich bin wieder dabei. Ähnlich zu den Modalitäten aus dem letzten Jahr stellt Dominik Leitner uns Teilnehmenden zu Anfang jedes Monats ein Wort vor, mit dem wir machen können, was wir wollen, solange wir nur schreiben. Anders als im letzten Jahr, als ich noch keinen Plan hatte, steht dieses Mal meine Idee schon fest: es ist Dogma Pillenknick. Film ab!
Nichtsdestotrotz ergoss sich die Morgendämmerung über dem Moor. Tiefblau schälte sich der Horizont aus dem auf Holzpfählen gebetteten Weg durch die Weite, gab die matt in der Windstille hängenden Gräser frei, die sich, plötzlich entblößt, in den aufkommenden Bodennebel zu mummeln schienen.
Nichts sollte mich hier und jetzt an die Ereignisse der letzten Tage erinnern, so hatte ich es gewollt, und doch war das alles in diesem Moment, den ich so herbeigesehnt hatte, nur eine durchscheinende Folie, hinter der der Film der vergangenen Tage in Endlosschleife lief.
„Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein.“
Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein. Deine Worte waren es gewesen, die letzten, die ich von dir hörte. Die letzten Worte, die du mir hinterher belltest, während ich tränensichtig die Straße entlang lief, den vollen Rucksack auf dem Rücken, nur fort von der Erinnerung an das, was du unsere Familie und ich eine einzige, große Lüge genannt hattest – und jetzt sehe ich sie wieder, die Worte und ihren Klang, als wären sie der Titel zu diesem Film, den ich nie drehen wollte, dessen erstes Bild dieser so melodramatisch stille Herbstsonnenaufgang ist.
Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein.
Ich schlafe nicht mehr; seitdem ich weiß, dass ich dich töten muss, bekomme ich die Augen nicht mehr zu. Blicke ich auf die letzten Tage und Wochen zurück, ist es so offensichtlich, dass ich mich dafür verfluche, es nicht eher bemerkt zu haben, wohin die ganze Chose zwangsläufig führen musste.
In jeder anderen Welt hätte es Alternativen gegeben, hätten wir andere Entscheidungen getroffen, wären wir nie an diesem Punkt angelangt, an dem wir stehen, an dem ich jetzt stehe, verzweifelt auf der Suche nach einer Alternative, wo es nicht einmal mehr einen Weg zurück gibt. Was jetzt kommt, ist so logisch und zwangsläufig und so richtig und doch so falsch. Ich kann dich nicht einfach töten, auch wenn ich es muss, doch so schwer mir der Gedanke daran fällt, so weiß ich doch, dass ich es tun werde, dass ich dein Leben beenden werde, weil es der einzige Ausweg aus meinem Dilemma ist. Es gibt nur eine Antwort auf all die offenen Fragen, und die ist dein Tod. Dass dein Tod dennoch nichts ändern wird, liegt in seiner Natur. Nur er kann noch befrieden, was kurz vor dem Ausbruch steht, und so bist du mein und unser aller Opfer, das wir auf dem Altar der Wahrheit darbringen werden.
Du bist der einzige, mit dem ich je sprach. Deine Vorgänger, sie waren alle nur Werkzeuge, Mittel zum Zweck, du aber bist meine Katharsis. Magst du wie sie auch nicht mehr sein als Buchstaben auf Papier, bist du doch mehr als sie je sein konnten, denn du bist, wer ich mich nie zu sein traute. Du bist der Mann, der ich gerne gewesen wäre, der ich vielleicht auch hätte werden können, wenn ich nicht für jede Entscheidung eine Ausrede gefunden hätte, bis andere sich an meiner statt entschieden.
Es tut mir leid. Ich möchte, dass du das weißt, auch wenn du diese Zeilen niemals lesen wirst. Verzeih mir für alles, was ich dir antat, antun musste, antun werde. Ich kann doch nichts dafür.