Überstundenwochen sind keine guten Wochen für tägliches Bloggen. Sie wären es vielleicht, wenn ich kein Privatleben hätte, aber das scheitert schon daran, dass ich einen Hund und einen Freund habe. Es gibt Schlimmeres.
Allerdings merke ich auch für mich, dass ich inzwischen an einem Punkt angekommen bin, an dem ich die Distanz zwischen der Aussage mancher „Wenn Arbeitgeber ehrlich wären“-Reels und meiner Haltung zu ihnen schwinden sehe.
Doch auch eine andere Distanz sehe ich schwinden, nämlich die zwischen mir und einem eigenen Lastenrad. Den Wunsch nach einem Rad, das etwas mehr als nur den Inhalt zweier Taschen transportieren kann, hege ich ja schon etwas länger … so ungefähr seit meinem dreißigsten Geburtstag, für den ich extra einen Raum im Bahnhof Vohwinkel angemietet hatte; mit das Unnötigste, was ich hätte tun können, doch das dafür ausgeliehene Bullitt, war die beste Ausleihe, die ich hätte tätigen können.
Überhaupt, Wuppertal. Wer hätte gedacht, dass es Wuppertal sein würde, von dem viele sagen, mit seiner bergigen Topografie könne es niemals Fahrradstadt werden, das in mir den Wunsch nach einem Lastenrad wecken würde? Doch das kann nur bezweifeln, wer Wuppertal nicht kennt und Münster für das Fahrradmekka Deutschlands hält. Gut, in Münster fahren viele Leute Leeze, doch ich bin noch immer davon überzeugt, dass sie das oft nur trotz der Fahrradinfrastruktur tun, die sich wahrlich bemüht, regelkonformes Radfahren zu verhindern. Wuppertal hingegen macht gar keinen Hehl daraus, dass es nicht kein perfektes Pflaster für Fahrräder ist. Und doch: In der Talachse lässt sich die ganze Stadt von Ost nach West durchqueren, und für die Höhen gibt es mittlerweile Pedelecs. Die Entstehung der Nordbahntrasse als über 20 Kilometer langer durchgehender Radweg und Begegnungsraum ist ein Symbol dafür, was eine Bürgerschaft erreichen kann, wenn sie Ideen hat und sich engagiert. Rund um den Mirker Bahnhof sind so viele Leute zu finden, die sich für ihre Stadt interessieren, die ihre Ideen in die Stadtentwicklung einbringen möchte, dass es eigentlich kein Wunder ist, dass sich dort mit Fienchen ein Lastenrad ansiedelte, das inzwischen dreizehn (!) Geschwister bekommen hat, die in der ganzen Stadt verteilt zu finden und auf Spendenbasis zu mieten sind.
Wuppertal also, Fienchen, das Team der Fahrradstadt Wuppertal, die Critical Mass … die alle sind mit dafür verantwortlich, dass ich ein Lastenrad fahren will, und dafür muss ich einfach mal „Danke“ sagen.
Danke also, dass ich nach sieben Jahren des Abwägens und Probefahrens (hier ein Bullitt, da ein Cargobike Monkey, hier ein HNF CD1, dort eine Dolly …) am Freitag einen Anruf aus Kriebstein bekommen durfte, in dem ich mit Clemens Kircher die Details meines Iumentum 1890 durchsprechen konnte. Ick freu mir so auf Lina Cargorossa.
Lina Cargorossa? Well. Das Kind brauchte einen Namen, und was liegt näher in der Nähe Kaiserslauterns, als das Kind nach dem Kaiser zu benennen, der dort seine Pfalz errichtete? Nur – wie will man dann erklären, dass ein gelbes Rad nach einem Kaiser mit einem roten Bart benennt? Indem man ganz schnell auf den Vornamen des Rades zu sprechen kommt. Lina also, nach Lina Pfaff, die in der Geschichte der Nähmaschinenfabrik Pfaff und des sozialen Wohnungsbaus in Kaiserslautern eine entscheidende Rolle spielte.
Und dann war da noch Eve. Eigentlich wollten wir uns nur ein bisschen Eis vom Automaten holen, da das Eis im Gefrierfach Schwindsucht hatte. Doch während wir da vor dem Automaten standen, an der Bushaltestelle in Schwedelbach, und unsere Auswahl trafen, wurden wir von einer Frau angesprochen. Ob wir denn Englisch sprächen?
Eve kam aus den USA. Sie hatte ihren jüngsten Sohn und dessen schwangere Frau besucht, doch als es awkward wurde (no judgement here), hatte sie ihre Sachen gepackt, und war nun mit Rucksack und großen Taschen auf dem Weg zu einem Biker aus Belfast in Nordirland, den sie auf seiner Suche nach allen Belfasts dieser Welt bei sich zuhause im Bundesstaat New York kennengelernt hatte. Also: sie wollte nicht nach Belfast, sie wollte nach Barcelona, wo er nun verweilte – doch um dorthin zu kommen, musste sie erst einmal aus dem Nordpfälzer Bergland zum Flughafen in Frankfurt, und das geht – zumindest mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – nur über Kaiserslautern. Eigentlich wollte sie nur wissen, wann denn ein Bus nach Kaiserslautern führe. An einem Sonntag. … Anstatt sie auf den nächsten Tag zu vertrösten, haben wir sie dann einfach mitgenommen bis zum nächsten Bahnhof mit Verkehr an einem Sonntag. Das Konzept „Ruftaxi“ (Ich rufe jetzt wen an, damit jemand in knapp zwei Stunden zu einem in einem Aushang stehenden Zeitpunkt vorbeikommt und mich gegen Erwerb eines Fahrscheins auf einer vorgegebenen Route an ein gewünschtes Ziel bringt.) ist ja so schon abstrus genug, selbst wenn man die gleiche Sprache wie das Fahrpersonal spricht. Am Ende der Fahrt kannten wir ihre Geschichte und ihre Kinder und sie hatte ein Ticket für die Bahn und einen Fahrplan. Zum Hotel in Kaiserslautern dürfte sie es geschafft haben, denn das war vielleicht fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Morgen geht es für sie dann weiter nach Frankfurt. Sie will wieder Bus fahren. Mit ihrer offenen und zugewandten Art wird sie das schon schaffen.