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Der neue Döppersberg

Ein Glühweinstand in Form eines Ziegelsteinhauses mit verkupfertem Dach ist weihnachtlich geschmückt und beleuchtet. Viele Menschen stehen um ihn herum oder gehen rechts an ihm vorbei auf das Bahnhofsgebäude des Wuppertaler Hauptbahnhofs zu. Im Hintergrund leuchtet oberhalb des Platzes die angestrahlte Fassade des Hauptbahnhofs.
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gedacht

Zwischenruf aus dem Maschinenraum

… und wäh­rend ich gera­de dem Halbgriechen im Gespräch mit Frau Scheuer lau­sche, geht nun also auch die­se Webseite end­lich wie­der online. Mag sein, dass das für euch jetzt kryp­tisch klingt und unvoll­stän­dig aus­sieht, aber dar­um geht es nicht. Ich bin wie­der hier. Ich bin.

Meine frü­he­ren Texte wer­den mit der Zeit wie­der erschei­nen. Da hat­te ich gepennt. Aber es ist viel­leicht auch ganz gut, noch einen neu­en Blick auf all die alten Werke zu werfen.

Bleibt mir gewo­gen. Bleibt neugierig.

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gedicht

0311 – pour D

Alte Vet­tel, Nacht­mahrs­freun­din,
was starrst du so trüb in dei­nen Tee?
Ist es nicht Zeit das Wie­der­se­hen zu feiern?

Reich mir dei­ne zitt­ri­ge Hand,
lass Frau Luna lei­se wei­nen,
sie weiß genug für uns alle,
zu viel für jede von uns Schwes­tern.
Aktä­on wird wie stets ver­ge­hen,
sei­ne Hän­de sind bereits gewetzt.

O, wei­ne nicht, es ist doch nicht zu ändern,
was Eros’ Schwes­ter der­einst in ihn schrieb.
Reich mir, alte Vet­tel, dei­ne sanf­te Hand,
wir wol­len ihn begrüßen.

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gesagt

Eulogy on a non-existing friend

Kuri­os. Als ich heu­te erwach­te, fand ich in die­sem Moment ein Gefühl von Über­res­ten eines Traums auf mei­nen Lip­pen. Ich konn­te nicht anders als wei­ter dar­an zu den­ken und ver­wehr­te mir jeden Guten-Mor­gen-Tweet, bloß weil ich ihn nicht ver­ges­sen woll­te. Er war nicht auf idyl­li­sche Wei­se schön, und doch hin­ter­ließ er eine ange­neh­me Erin­ne­rung in mir. Ich muss­te dar­über schrei­ben. Auch wenn das, was ich schrieb, nicht eine Nach­er­zäh­lung die­ses Traums ist, ist es stark von ihm inspi­riert, ein biss­chen wei­ter­ge­dacht, wenn auch anders als ich es mir erträumt hätte.

Egal. Es muss­te raus. Hier ist es. Schmiegt euch hinein.

Ich begeg­ne­te Dir zum ers­ten Mal auf der Toi­let­te, in der­sel­ben Kabi­ne. Du saßest da, schwarz geklei­det wie stets, Dein aus­ge­beul­ter, aus­ge­mer­gel­ter Ruck­sack vor Dir auf dem Boden. Drau­ßen, vor der Kabi­nen­tür, tob­te der übli­che Pau­sen­lärm. Ich lehn­te an der Tür; Du puder­test Dir Dein Gesicht nach, über­deck­test Dei­ne nicht vor­han­de­nen Augen­rin­ge. Wir muss­ten nicht reden um uns zu ver­ste­hen.
Dass sie drau­ßen über Dich spot­te­ten, war kaum zu über­hö­ren, eigent­lich allen in der Ober­stu­fe war es bekannt, selbst den Leh­rern – was aber nichts dar­an änder­te, dass Du für sie da drau­ßen nur die Schwuch­tel warst, denn mal im Ernst: Wer so fein­glied­ri­ge Hän­de hat­te wie Du, wer sich so gewählt aus­drück­te wie Du, wer als Mann so gepflegt her­um­lief wie Du, wer so fei­ne Gesichts­zü­ge hat­te wie Du, wer sich bes­ser mit den Mäd­chen ver­stand wie Du, aber noch nie mit einer Freun­din gese­hen wur­de, der muss­te doch schwul sein.
Dass Dein so ver­we­ge­ner Drei­ta­ge­bart das Werk von ledig­lich vier­und­zwan­zig Stun­den war, wuss­ten sie nicht. Er brach das Bild, aber nicht genug, und ins­ge­heim benie­den sie Dich sogar dar­um. Dass Du jeden ein­zel­nen von ihnen mühe­los aufs Kreuz legen konn­test, wuss­ten sie eben­so­we­nig wie, und wenn es nach Dir ging, soll­te es auch so blei­ben, auch wenn sie Dei­ne Con­ten­an­ce unwis­sent­lich igno­rant mit jedem Tag mehr aus­höhl­ten.
Sie zogen Dei­nen Ruck­sack, den Du acht­los auf den Boden fal­len las­sen hat­test, unter der Tür her­vor und lach­ten, als sie ihn mal wie­der aus­leer­ten, doch Dir war es egal. Schon lan­ge hat­test Du nichts mehr in ihm, was für Dich von irgend­ei­nem Wert war, und Dei­ne Kip­pen trug immer ich bei mir. Dafür durf­te ich mir dann auch mal eine neh­men, wenn wir mal wie­der auf dem Klo eine rauch­ten – und das taten wir oft. Manch­mal knutsch­ten wir auch, ganz unver­bind­lich, wie das gute Freun­de so tun, die wirk­lich alles teilen.


Dass ihr ihn nicht kann­tet und auch nicht ken­nen­ler­nen woll­tet, tat mir leid für euch, weil euch so viel ent­ging, weil ihr so viel nicht erle­ben durf­tet.
Er hät­te alles für euch gege­ben, wenn ihr ihn nur akzep­tiert hät­tet, wie er auch alles für sei­ne Freun­de tat, egal wann man ihn um Hil­fe bat. Wie oft schlich er nachts ins Haus sei­ner Eltern, um sei­nen Bru­der aus die­ser Höl­le aus Geschrei und Schlä­gen zu holen, gegen die das Jugend­amt dank ein­ge­brann­ter Mas­ken macht­los war? Wie oft ging er nach­mit­tags mit Hun­den aus dem Tier­heim Gas­si, obwohl er noch genug Haus­halt vor sich hat­te, bloß weil er es ver­spro­chen hat­te? Wie oft hat er euch nicht ver­pfif­fen, wenn ihr die alte Mei­er, die euch immer­hin aufs Mathe-Abi vor­be­rei­ten soll­te, mal wie­der aus dem Raum geekelt hat­tet? Hm, wie oft?
Habt ihr euch in den letz­ten Wochen nicht gefragt, wo er war?

Ja, für euch ist es über­ra­schend, dass wir uns jetzt hier an sei­nem Grab wie­der­se­hen. Für euch kommt das plötz­lich. Für uns war das schon seit letz­tem Jahr nur noch eine Fra­ge der Zeit. Wollt ihr wis­sen, war­um er euch alle, jeden und jede von euch, ein­ge­la­den hat? Weil er kein Arsch­loch war. Des­halb will ich auch kein schlech­tes Wort mehr ver­lie­ren, nicht mehr, nicht über euch.
Denkt an ihn, mehr will ich nicht, mehr woll­te er nicht. Ver­gesst ihn ein­fach nicht.

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2016_02.txt | Berg

Das Pro­jekt *.txt geht in die zwei­te Run­de und ich bin wie­der dabei. Ähn­lich zu den Moda­li­tä­ten aus dem letz­ten Jahr stellt Domi­nik Leit­ner uns Teil­neh­men­den zu Anfang jedes Monats ein Wort vor, mit dem wir machen kön­nen, was wir wol­len, solan­ge wir nur schrei­ben. Anders als im letz­ten Jahr, als ich noch kei­nen Plan hat­te, steht die­ses Mal mei­ne Idee schon fest: es ist Dog­ma Pil­len­knick. Film ab! 

Es war nicht mei­ne Idee nach dir zu suchen, zumal ein Blick ins Tele­fon­buch gereicht hät­te, um zu wis­sen, dass du noch immer in dem­sel­ben Haus wohnst, das mir Eltern­haus war, wie es schon für dich und dei­nen Vater und sei­nen Vater Eltern­haus war. Nie hast du die Welt gese­hen, nie bist du wei­ter gekom­men als an den Chiem­see.
„Dei­ne Fan­ta­sie ist viel wei­ter als die Welt je sein kann.“, hast du stets gesagt, wenn wir mal woan­ders Urlaub machen woll­ten als im Wes­ter­wald, und so hat­te mich mei­ne ers­te Rei­se nach dem Abitur an kei­nen gerin­ge­ren Ort als San Fran­cis­co geführt, home of the bra­ve, land of the free; nur weg von dir und aus dei­ner klei­nen Welt woll­te ich, und dass ich kei­nen Rück­flug gebucht hat­te, war eben kein Ver­se­hen, auch wenn ich dir das immer wie­der glau­ben machen woll­te, wenn du auf mei­ne Rei­sen zu spre­chen kamst, ehe ich dann für immer aus dei­nem Leben floh.
Wäre es nach mir gegan­gen, wäre es auch dabei geblie­ben, aber in die­sem Fall ging es nicht nach mir. Immer­hin warst es nicht du.

„If not for you, do it for me.“, hat­te Kat gesagt, und wer war ich, dass ich ihr etwas abschla­gen konn­te. Ich konn­te ihr noch nie einen Wunsch ver­weh­ren und schon gar nicht, wenn sie mich so bet­telnd ansah wie es sonst nur Ran­di, mei­ne Gol­den-Retrie­ver-Dame, tat, wenn sie roch, dass es wie­der Leber­wurst gab – nur dass ich Ran­di wider­ste­hen konn­te. Bei ihr wuss­te ich genau, dass ihr die Leber­wurst nicht bekom­men wür­de, doch wenn Kat mich so anschau­te, dann war all mei­ne Vor­sicht wie weggeblasen.

Ich hat­te schon den Flug gebucht, als Kat rea­li­sier­te, dass ich schon dabei war ihrer Auf­for­de­rung nach­zu­kom­men, und ich konn­te gera­de noch die Hotel­re­ser­vie­rung abschlie­ßen, bevor es ihr gelang den Ste­cker zu zie­hen.
„Tell me about him.“, waren ihre Wor­te und ihre Augen blink­ten mich ent­schlos­sen an. „I won’t let you go until you’ve told me.“
Mein blitz­ar­ti­ger Über­fall­be­such, er war zum Schei­tern ver­ur­teilt noch vor der Ankunft.
„Komm mit!“, sag­te ich nur, stand auf, zog mir mei­ne Jacke an und war­te­te gar nicht erst ab, ob sie mir folg­te. Erst an der nächs­ten Kreu­zung hol­te sie mich ein.

„My father isn’t as char­ming as he makes ever­yo­ne belie­ve.“ Ich weiß es noch genau, das waren mei­ne ers­ten Wor­te, nach­dem wir zehn Minu­ten wort­los durch den Schnee gestapft waren. Die Stra­ßen waren wie leer­ge­fegt; dass es eine Bliz­zard­war­nung gege­ben hat­te, dar­an dach­te ich in die­sem Moment kein biss­chen. Bis ich Mut und For­mu­lie­rung für einen zwei­ten Satz gefun­den hat­ten, waren wir schon ganz woan­ders. Der Schnee hat­te alles flach und erha­ben und weiß gemacht und doch fühl­te es sich so an als wür­de ich einen Berg erklim­men, ohne Seil­schaft, ohne Plan und ohne Ahnung; es war ein ers­tes Mal.
Jedes neue Bild in mei­nem Kopf, jeder Erin­ne­rungs­fet­zen lau­er­te wie eine Tret­mi­ne im Fels und ich kam mir vor, als hät­te ich jede ein­zel­ne von ihnen erwischt. Mei­ne Kind­heit, mei­ne Jugend, mein altes Leben, ein ein­zi­ger krei­schen­der, stü­cki­ger Brei, zwi­schen des­sen fels­ar­ti­gen Frag­men­ten ich zer­malmt wur­de. Ich schnapp­te nur nach Luft und sank auf die Knie. Mehr weiß ich nicht von die­sem Tag. Es soll­te nur ein Vor­ge­schmack des­sen sein, was noch zu kom­men drohte.


Die Hal­den des Reviers sind mein Gebir­ge. Nicht für die Aus­sicht erklim­me ich ihre Gip­fel, son­dern für das Gefühl, es doch noch ein­mal nach oben geschafft zu haben. Und doch: Erst wenn ich oben ste­he und ver­schnau­fe, kann ich sehe, was bereits hin­ter mir liegt, und wohin ich noch gehen muss. So ist es auch mit dir, Jan Fux. Es brauch­te sei­ne Zeit und Mühe, ehe ich wuss­te, wohin dei­ne Geschich­te füh­ren soll, und es kos­te­te mich eini­ges an Kraft, ehe das Gerüst stand, vor das ich dein Leben stel­len kann, doch als es stand, da wuss­te ich mit einem Blick, wie ich die­ses Gebäu­de bau­en und ein­rich­ten kann, und auch wenn die Möbel noch feh­len, sehe ich dich schon dar­in wohnen.

Die­se Gewiss­heit war es, die ich gebraucht habe, um über dich schrei­ben zu kön­nen; mit die­ser Gewiss­heit eil­te ich vom Gip­fel her­ab zum Park­platz, wo ich mei­nen Wagen abge­stellt hat­te. Er sprang nicht an, wie so oft in die­sem kal­ten Früh­ling, der genau­ge­nom­men ein ver­spä­te­ter Win­ter war; doch es war mir gleich,da ich dich schon in der Küche sit­zen sah. Vor mei­nem Augen bekamst du Sta­tur und ein Gesicht, wäh­rend der Anlas­ser vor sich hin orgel­te. Du bekamst Eltern, Groß­el­tern und einen älte­ren Bru­der. Noch bevor ich ihn erblick­te, ließ dein Vater für die Dra­ma­tur­gie sein Leben, womit dei­ne Mut­ter zu einer lang­jäh­ri­gen Allein­er­zie­hen­den wur­de. Du wuchst her­an, nicht chro­no­lo­gisch, son­dern nach Momen­ten sor­tiert, die ich mit dir in Ver­bin­dung brach­te – und wäh­rend du so wur­dest, erwies mir mein lind­grü­ner Diplo­mat einen Gefal­len, sprang an und brach­te mich nach Hau­se.
Als der Motor erstarb, hat­test du ein Leben und ein neu­er Name schweb­te in mei­nem Kopf. Dog­ma Pillenknick.

Ich weiß noch nichts mit ihr anzu­fan­gen, aber ohne sie geht es nicht, das spü­re ich noch jetzt so prä­sent wie vor­hin im Auto.
Dog­ma Pil­len­knick. Wer ist sie? Was macht sie? Und wel­che Rol­le spielt sie für Jan? Ich sehe sie nir­gends, habe nicht ein­mal eine Vor­stel­lung von ihr. Wie passt sie ins Bild?


Sie fügt sich nicht. Wie soll ich mit einer so stör­ri­schen Figur wie ihr arbei­ten? So wie sie wirkt, könn­te sie auch mei­ne Toch­ter sein, aber die … nein, das wäre absurd.
Fik­ti­on ist Fik­ti­on und Rea­li­tät bleibt Rea­li­tät, auch wenn Fik­ti­on und Rea­li­tät sich gegen­sei­tig befruch­ten.
Ich muss raus, zurück in mei­ne Ber­ge, auch wenn der Abend längst schon dräut. Viel­leicht fin­de ich dort oben, wonach ich suche.

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2016_01.txt | nichtsdestotrotz

Das Pro­jekt *.txt geht in die zwei­te Run­de und ich bin wie­der dabei. Ähn­lich zu den Moda­li­tä­ten aus dem letz­ten Jahr stellt Domi­nik Leit­ner uns Teil­neh­men­den zu Anfang jedes Monats ein Wort vor, mit dem wir machen kön­nen, was wir wol­len, solan­ge wir nur schrei­ben. Anders als im letz­ten Jahr, als ich noch kei­nen Plan hat­te, steht die­ses Mal mei­ne Idee schon fest: es ist Dog­ma Pil­len­knick. Film ab! 

Nichts­des­to­trotz ergoss sich die Mor­gen­däm­me­rung über dem Moor. Tief­blau schäl­te sich der Hori­zont aus dem auf Holz­pfäh­len gebet­te­ten Weg durch die Wei­te, gab die matt in der Wind­stil­le hän­gen­den Grä­ser frei, die sich, plötz­lich ent­blößt, in den auf­kom­men­den Boden­ne­bel zu mum­meln schie­nen.
Nichts soll­te mich hier und jetzt an die Ereig­nis­se der letz­ten Tage erin­nern, so hat­te ich es gewollt, und doch war das alles in die­sem Moment, den ich so her­bei­ge­sehnt hat­te, nur eine durch­schei­nen­de Folie, hin­ter der der Film der ver­gan­ge­nen Tage in End­los­schlei­fe lief.

„Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein.“
Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein. Dei­ne Wor­te waren es gewe­sen, die letz­ten, die ich von dir hör­te. Die letz­ten Wor­te, die du mir hin­ter­her bell­test, wäh­rend ich trä­nen­sich­tig die Stra­ße ent­lang lief, den vol­len Ruck­sack auf dem Rücken, nur fort von der Erin­ne­rung an das, was du unse­re Fami­lie und ich eine ein­zi­ge, gro­ße Lüge genannt hat­test – und jetzt sehe ich sie wie­der, die Wor­te und ihren Klang, als wären sie der Titel zu die­sem Film, den ich nie dre­hen woll­te, des­sen ers­tes Bild die­ser so melo­dra­ma­tisch stil­le Herbst­son­nen­auf­gang ist.

Wenn ich nicht mehr bin, dann bist du allein.


Ich schla­fe nicht mehr; seit­dem ich weiß, dass ich dich töten muss, bekom­me ich die Augen nicht mehr zu. Bli­cke ich auf die letz­ten Tage und Wochen zurück, ist es so offen­sicht­lich, dass ich mich dafür ver­flu­che, es nicht eher bemerkt zu haben, wohin die gan­ze Cho­se zwangs­läu­fig füh­ren muss­te.
In jeder ande­ren Welt hät­te es Alter­na­ti­ven gege­ben, hät­ten wir ande­re Ent­schei­dun­gen getrof­fen, wären wir nie an die­sem Punkt ange­langt, an dem wir ste­hen, an dem ich jetzt ste­he, ver­zwei­felt auf der Suche nach einer Alter­na­ti­ve, wo es nicht ein­mal mehr einen Weg zurück gibt. Was jetzt kommt, ist so logisch und zwangs­läu­fig und so rich­tig und doch so falsch. Ich kann dich nicht ein­fach töten, auch wenn ich es muss, doch so schwer mir der Gedan­ke dar­an fällt, so weiß ich doch, dass ich es tun wer­de, dass ich dein Leben been­den wer­de, weil es der ein­zi­ge Aus­weg aus mei­nem Dilem­ma ist. Es gibt nur eine Ant­wort auf all die offe­nen Fra­gen, und die ist dein Tod. Dass dein Tod den­noch nichts ändern wird, liegt in sei­ner Natur. Nur er kann noch befrie­den, was kurz vor dem Aus­bruch steht, und so bist du mein und unser aller Opfer, das wir auf dem Altar der Wahr­heit dar­brin­gen wer­den.
Du bist der ein­zi­ge, mit dem ich je sprach. Dei­ne Vor­gän­ger, sie waren alle nur Werk­zeu­ge, Mit­tel zum Zweck, du aber bist mei­ne Kathar­sis. Magst du wie sie auch nicht mehr sein als Buch­sta­ben auf Papier, bist du doch mehr als sie je sein konn­ten, denn du bist, wer ich mich nie zu sein trau­te. Du bist der Mann, der ich ger­ne gewe­sen wäre, der ich viel­leicht auch hät­te wer­den kön­nen, wenn ich nicht für jede Ent­schei­dung eine Aus­re­de gefun­den hät­te, bis ande­re sich an mei­ner statt ent­schie­den.
Es tut mir leid. Ich möch­te, dass du das weißt, auch wenn du die­se Zei­len nie­mals lesen wirst. Ver­zeih mir für alles, was ich dir antat, antun muss­te, antun wer­de. Ich kann doch nichts dafür.

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17.txt | ruhig

Vor­wort: Dies ist der sieb­zehn­te und letz­te Teil eines grö­ße­ren Pro­jekts. Ich habe im Rah­men von *.txt an die­sem Werk immer wei­ter geschrie­ben. Eine Idee hat­te ich im Kopf, aber wohin *.txt mich führ­te, wuss­te ich nicht. Jetzt aber ist mir alles klar. 

Ver­trau­te Häu­ser, ver­trau­te Stra­ßen; hier ken­ne ich mich aus. Es riecht bekannt, nach Frit­ten­fett. Autos ste­hen in der zwei­ten Rei­he abge­stellt, wäh­rend im Imbiss ihre Fah­rer dar­auf war­ten, dass ihre vor­be­stell­ten Gerich­te über den Tre­sen gereicht wer­den; gedul­de­ter Ego­is­mus im Man­tel der Wirt­schafts­för­de­rung. Die Luft, sie ist ver­braucht, ver­staubt, plötz­lich so grau wie es vor­her nie auf­ge­fal­len war.
Nicht mehr weit muss ich gehen, nicht mehr weit ist es, bis ich wie­der auf mein altes Leben sto­ße, bis die­se Flucht ihr Ende fin­det, egal was auch danach dann folgt. Ein biss­chen Regen täte der Stadt gut, ein Nie­seln wür­de mir schon rei­chen, um sie von all der drü­cken­den Enge und dem Mief des All­üb­li­chen rein­zu­wa­schen, selbst wenn es nur für eine hal­be Stun­de wäre. Nur ein­mal möch­te ich hier den Frie­den der Win­ger­te erle­ben, den­ke ich, und weiß doch, dass es so nicht geht.
In der Hosen­ta­sche, in der ich kra­me, klim­pert dein Schlüs­sel­bund, mein Öff­ner für Pan­d­o­ras Büch­se, dem ich erst sei­nen Sinn ergab. Ich spü­re sei­nen Lini­en nach, du lachst mich an wie du es erst an dei­nem Geburts­tag tatest, eh dein Blick erstirbt, ich schütt­le mei­nen Kopf und die­ses Bild erlischt.
Was die Ampel grün? Ich weiß es nicht und lau­fe wei­ter, unbe­irrt vom wüten­den Gehu­pe, fast wäre ich vorm Ziel ver­reckt; ein kos­mi­scher Fall von Durch­fall vor der Klo­schüs­sel wäre das gewe­sen, doch dies­mal über­le­be ich. Mein Herz schlägt schnel­ler, mein Blut rauscht wum­mernd durch die Ohren, mei­ne Füße wer­den leicht, ich spü­re mei­ne Hän­de kaum … wie Kof­fein­rausch ist es, wie vor unserm ers­ten ech­ten Date. Ich fürch­te mich vor dem, was kommt, doch kenn’ ich dich so gut, so lang. Eigent­lich ist das, was nun noch kommt, nur Form­sa­che, denn eigent­lich ist es doch offen­sicht­lich, was geschah. Weil man es so macht, machen wir es auch, weil man es so macht, keh­re ich an die­sen Ort zurück. Nur rich­tig Abschied neh­men will ich noch, nach­ho­len, was mir ges­tern noch nicht mög­lich war.
Die Tür geht auf durch mei­ne Hand, ganz auto­ma­tisch schau’ ich nach der Post, doch nicht für dich ist die­ser Brief. Die Kli­nik schreibt, sie wür­de mich gern haben; mein Traum­job, ich habe ihn erreicht. Fast unbe­merkt steh’ ich vor uns’rer Tür, doch als der Brief­um­schlag zu Boden flappt, erken­ne ich, vor wel­cher Schwel­le ich nun ste­he. Der Schlüs­sel fällt mir aus der Hand.
Das Schrei­ben folgt ihm unauf­fäl­lig nach.
Und nur wie aus einer fer­nen Gala­xie klingt das metal­le­ne Klir­ren und papier­ne Plat­schen an mein Ohr.

„Guten Mor­gen, Herr Schus­ter.“, knurrt die Haus­meis­te­rin, ich erken­ne sie an ihrem breit geroll­ten R, und grü­ße zurück ohne mich umzu­dre­hen. Sie wird wohl zum Kiosk gehen, Bröt­chen kau­fen und ’ne Zei­tung, wie jeden Mor­gen, auch am Wochen­en­de. Kaum fällt die Haus­tür zu, ver­lässt mich mei­ne Star­re und ich hebe den Schlüs­sel wie­der auf. Das Schloss tref­fe ich auf Anhieb, sodass ich kalt kla­ckend den Schlüs­sel dre­hen kann.

Es ist nicht abge­schlos­sen.
Ich über­win­de den letz­ten Wider­stand und sto­ße die Tür auf, die sich aus­nahms­wei­se nicht dem dra­ma­ti­schen Knar­ren hin­gibt, mit wel­chem sie uns sonst begrüß­te.
Da stehst du, im Flur, nackt wie ich dich lie­be. Noch immer hast du dei­ne Sper­ma­res­te im Haar und dein Hals schil­lert dun­kel­rot­fast­blau, ich sehe mei­ne Dau­men dich ersticken.

Was stehst du da? Wieso?

Wie, was, du bist doch tot! Du kannst doch gar nicht ste­hen! Du bist tot, tot, tot, doch tot, und ich ver­rückt! Du starrst mich an, was schaust du mich so an, und blickst durch mich hin­durch.
Tür­rah­men, wo ist der ver­fick­te Tür­rah­men, an den ich mich jetzt stüt­zen kann? Du starrst nur wei­ter, Gespenst mei­ner Schuld, eh ich ihn zu fas­sen krie­ge. Wat­te, alles fühlt sich an wie Wat­te, Wat­te in den Ohren, auch der Druck ist da, für einen ewi­gen Moment, für einen ewi­gen Moment ist alles still.

Dann blin­zelst du und sprichst.

Wei­te­re Bei­trä­ge fin­det ihr bei Domi­nik.

Die vori­gen Tei­le mei­ner Geschich­te fin­det ihr hier.

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16.txt | Distanz

Vorwort: Dies ist der sech­zehn­te Teil eines grö­ße­ren Projekts. Ich möch­te im Rah­men von *.txt an die­sem Anfang immer wei­ter schrei­ben. Eine Idee habe ich im Kopf, aber wohin *.txt mich beglei­ten wird, das weiß ich nicht. Ich bin gespannt. 

Ich bin so weit weg vor mir geflo­hen und doch bist du, ganz nah, so nah wie nie. Keinen Schritt mehr kann ich tun ohne dich, nur das Göbeln hat sich zum Glück erle­digt. Nie hast du geklam­mert, doch jetzt lässt du nicht mehr los, weil ich dich nicht mehr gehen las­sen kann. Ich habe dich an den Rest mei­nes küm­mer­li­chen Verstandes geket­tet und wenn du jetzt gehst, bin ich für immer ver­dammt, also las­se ich nicht von dir ab. Wozu also soll ich noch flie­hen und wohin?

Ach. Was ich alles in mei­ner Hose habe. Du mein­test ja, was einer Frau ihre Handtasche sei mir mei­ne Hose. So ein Blödsinn! So viel Zeug passt nie und nim­mer in eine Handtasche, gleich­wohl mir der Maulschlüssel gera­de herz­lich wenig nützt. Das klei­ne grü­ne Scheinchen hin­ge­gen … ja, mei­ne Flucht hat wirk­lich ein Ende. Ja, ich keh­re um. Ich fah­re zurück zu dir, zu dem Ort, an dem mehr von dir ist als nur der Geist mei­ner Sehnsucht, an dem ich, an dem mein Leben hängt.
Der ers­te Zug, der kommt, ist mir. Zum Glück fährt er auch dort­hin, wohin ich will. Das Wechselgeld reicht für einen Kaffee – bezie­hungs­wei­se das, was man hier für Kaffee hält. Ich läch­le in mich hin­ein. Egal was kommt: jetzt wird alles gut. 

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15.txt | Tanz

Vorwort: Dies ist der fünf­zehn­te Teil eines grö­ße­ren Projekts. Ich möch­te im Rah­men von *.txt an die­sem Anfang immer wei­ter schrei­ben. Eine Idee habe ich im Kopf, aber wohin *.txt mich beglei­ten wird, das weiß ich nicht. Ich bin gespannt. 

Vor. Zurück. Vor. Zurück. Vor, zurück. Vor, zurück, vor, zurück. Vor. Zurück. Ich kann nicht mehr gera­de­aus den­ken und schon gar nicht um die Kurve. Sehe ich dich vor mei­nem Auge, wird mir schlecht, wür­ge ich die Reste mei­ner Galle hoch, läuft mir dann der Restsabber aus dem Mundwinkel, ver­krampft sich mein Magen seh­nend nach dir; es ist ein gleich­mä­ßi­ger Rhythmus, ein Teufelkreis, an des­sen Ende eine Stretta in den Abgrund steht.
Vor, zurück. Links her­um im Kreis. Ein Walzer ist es nicht, und Spaß macht es auch kei­nen, aber wenn jemand schaut und fragt, ver­su­che ich mein Sambalächeln und keu­che was von Magenverstimmung.
Ein Tanz ist es, ein wil­der Tanz; ich will ihn nicht, doch die Schuhe mei­ner Taten sind verhext.

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14.txt | Gewissen

Vorwort: Dies ist der vier­zehn­te Teil eines grö­ße­ren Projekts. Ich möch­te im Rah­men von *.txt an die­sem Anfang immer wei­ter schrei­ben. Eine Idee habe ich im Kopf, aber wohin *.txt mich beglei­ten wird, das weiß ich nicht. Ich bin gespannt. 

Ich glau­be, ich habe dich getö­tet. Erwürgt. Ich habe es geplant und ver­wor­fen und neu geplant. Wollte doch, ersti­cken, erträn­ken, vor einen Zug schmei­ßen, erwischt wer­den und uner­kannt blei­ben.
Ich habe es geplant, dein Vertrauen miss­braucht. Ich habe dich gefickt, nein, „gepfählt“ war das Wort, das du immer gebrauch­test, wenn ich dich mal ficken durf­te, und doch nur dar­an gedacht, dir dei­nen Kehlkopf zu zer­drü­cken, bis du nicht mehr röchel­test.
Ich bin ein Monster, denn für Monster hal­te ich jene, die so sind wie ich.

Dein Bruder hat dich ver­göt­tert, denn du zeig­test ihm, was Selbstbewusstsein heißt. Erst jetzt kann ich das sehen. Du wirst ihm feh­len, so wie du mir auch fehlst, nur anders. Für ihn warst du cool, denn du warst schwul und den­noch bei allen beliebt. Du hast den ande­ren gezeigt, wo es lang ging ohne ihnen ihre Meinung oder ihren Willen zu neh­men. Du hast die ande­ren respek­tiert und unter­stützt. Wo ich ihre klei­nen Geheimnisse kann­te und brauch­te, um mei­nen Einfluss nicht zu ver­lie­ren, warst du ein­fach nur gut und damit noch erfolg­reich, erfolg­rei­cher als ich, denn unter­schwel­lig hat­ten die meis­ten wohl ein­fach nur Angst vor mir. Du wirst uns allen feh­len, mir aber aber nicht, denn ohne dich wer­de ich nicht mehr der Bad Guy sein, schon weil ich mich man­gels dei­ner Gegenwart nicht mehr in dei­ner Gegenwart so füh­len werde.

Doch, du wirst mir feh­len, sehr sogar. Jetzt muss ich alles wie­der allein schaf­fen. Scheitern konn­te ich nur zu gut, doch erst mit dir fand das ein Ende.

Scheiße, du fehlst mir, Herz! Nichts brennt mehr in mir.

Wei­te­re Bei­trä­ge fin­det ihr bei Domi­nik.

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