Als Nachteule, die ich bin, war ich wie so oft nach Mitternacht noch wach, und das war gut. Eigentlich wollte ich schon längst ins Bett verschwunden sein, aber das Internet war so spannend. Erst war da eine Dokumentation über die nachträgliche Colorisierung von „I Love Lucy“, doch der Algorithmus hielt es – nach Tagen voller re:publica-Videos – für eine schlaue Idee, mir ein Video von Marina Weisband vorzuschlagen: „Warum wählen so viele junge Leute AfD?“
Irgendwann griff Marina in dem Video die Frage auf, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, das Wahlalter bei der Europawahl auf 16 Jahre zu senken, und nach einer in meinen Augen sehr plastischen und plausiblen Herleitung fiel folgender Satz: „Ich finde, das Wahlrecht sollte eher noch früher kommen, weil die Schüler*Innen, mit denen ich arbeite, die sind wahnsinnig politisch interessiert, und die haben verschiedene Sorgen und Nöte und Visionen und Ziele, die sie auch lernen zu formulieren – aber erst, wenn das was bedeutet, also wenn wenn es irgendeine Konsequenz gibt.“
Nichts könnte besser beschreiben, wie ich politisch sozialisiert wurde. Es fing an in der vierten Klasse als einer der Vertreter meiner Schule für das Kinder- und Jugendparlament, und dieses Gremium war für viele Jahre meine politische Heimat, weil ich sehen konnte, dass ich ernstgenommen wurde, auch mit meinen kleinen Themen und Probleme. Ich hatte die Gelegenheit, den Kinder- und Jugendrat NRW mit ins Leben zu rufen als Vernetzungsgremium für lokale Interessensvertretungen wie das KiJuPa auf Landesebene. Letztlich war das dann auch der Weg für mich in eine Partei, weil ich eben dort mit meine Lebenswirklichkeit mitgestalten kann.
Freilich gibt es auch viele andere Möglichkeiten, mit denen ich das Leben meiner Mitmenschen verändern, verbessern kann, und die eine schließt die anderen nicht aus, aber entscheidend ist für mich der grundsätzlich Aspekt, ohne den es nicht geht: Engagement, Aktivismus, das Einsetzen der eigenen Ressourcen ist alles nichts, wenn ich nicht sehe, dass ich damit wirksam bin. Wenn ich nicht daran glaube, dass ich etwas verändern kann, warum sollte ich es tun? Und ja, am Ende kann ich viel verändern, auch wenn es oft ein quälend langsamer Prozess ist, oft auch gegen große Widerstände. Aber auch für diese Erfahrung bin ich dankbar: dass jede Veränderung ein Aushandeln von Bedürfnissen ist, und dafür braucht es einen langen Atem und Verbündete, und die kommen selten von allein.