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Mittwoch, 10. Juli 2024 – No hill to die on

Wie pri­vi­le­giert ich doch bin, mit dem Rad in fünf Minuten ein­kau­fen fah­ren zu kön­nen, und das auch noch bis 21 Uhr. Wieviel pri­vi­le­gier­ter ich nur wäre, wäre ich die­se tau­send Meter mit dem Auto zurück­le­gen könn­te. Wieviel pri­vi­le­gier­ter ich dann noch wäre, wenn ich sämt­li­che Konsequenzen des­sen aus­blen­den könn­te. Vielleicht wäre es mal Zeit für ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches „Check your pri­vi­le­ges“ vor der nächs­ten grö­ße­ren Entscheidung zu tref­fen­den Entscheidung.

Wenn es nur nicht so unan­ge­nehm wäre. Wer will schon ger­ne hören, dass es nicht ohne Verzicht geht, wenn wir noch eine lebens­wer­te Zukunft haben wol­len? Und wer glaubt so ohne Weiteres, dass man­ches gar kein Verzicht, son­dern sogar ein Gewinn wäre? Wie leer doch die Straßen wären für die­je­ni­gen, die aufs Auto wirk­lich ange­wie­sen sind, weil selbst ein gut aus­ge­bau­ter ÖPNV Grenzen kennt. Wie wenig Zeit man nach der Arbeit auf Ergotrainern ver­brin­gen müss­te, wenn der Arbeitsweg schon mit dem Rad zurück­ge­legt wor­den wäre. Wie güns­tig das Heizen doch wäre, wenn die Energie dafür auf dem eige­nen Dach gewon­nen wür­de, anstatt vom Oligopol weni­ger Gasproduzenten abhän­gig zu sein. Wie schön es doch für alle wäre, wenn die Nachbarn ohne Angst ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit zu zei­gen leben könn­ten anstatt jedes Mal das Umfeld abzu­che­cken, bevor sie zu ehr­lich werden. 

Man wird ja noch ein­mal träu­men dür­fen. Aber für man­che Träume lohnt es sich zu strei­ten und Flagge zu zei­gen und ande­ren (und sich selbst) den Spiegel vorzuhalten.


Auf mor­gen bin ich sehr gespannt. Wir als Betriebsrat wol­len uns der Belegschaft mal wie­der ein biss­chen prä­sen­ter ins Gedächtnis rufen und auch ein wenig erklä­ren, wofür wir eigent­lich gut sind. Dazu fei­len wir aktu­ell an ein paar Texten. Was man halt so tut, wenn das pri­mä­re Kommunikationstool in der Firma ein Instant-Messaging-Dienst ist. Genauer: Ich hab da mal ein biss­chen was for­mu­liert, wie ich das öfter mache, wenn ich mit den bis­he­ri­gen Vorschlägen nicht zufrie­den bin, oder wenn ich etwas anlei­ern will. 

Jetzt steht da die Aussage „Betriebsrat ist Antifa!“ im Raum, und erwart­ba­rer­wei­se war es das ers­te, was Widerrede erfuhr; nicht in der Sache, aber im Ton. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich den Satz auf­ge­ben will. Ich glau­be, dass er aktu­ell wich­ti­ger denn je ist, und dass es aktu­ell wich­ti­ger denn je ist, den Begriff „Antifa“ zurück­zu­er­obern von den Akteuren von der Mitte bis nach ganz rechts­au­ßen, die ihn syn­onym mit Linksextremismus ver­wen­den und damit das Streiten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung zu etwas Anrüchigem zu machen versuchen.

Da schla­gen also zwei Herzen nun in mei­ner Brust: Einerseits will ich als Betriebsrat hin­ter der Mehrheitsentscheidung ste­hen und sie ver­tre­ten kön­nen, selbst wenn ich in der Minderheit enden soll­te, denn wir sind ein Team. Andererseits fie­le es mir ent­schei­den leich­ter, wenn ich in die­sem Fall die Mehrheit hin­ter mir hätte.

Warum soll­ten wir nicht auch mal pola­ri­sie­ren dür­fen? Viel tra­gi­scher fin­de ich, dass die­se Formulierung pola­ri­sie­ren dürfte.

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