Vorwort: Dies ist der dreizehnte Teil eines größeren Projekts. Ich möchte im Rahmen von *.txt an diesem Anfang immer weiter schreiben. Eine Idee habe ich im Kopf, aber wohin *.txt mich begleiten wird, das weiß ich nicht. Ich bin gespannt.
In meinem Leben vor dir war alles anders, alles einfach. Ich wusste, wer die Guten sind und wer die Böse, auf welcher Seite ich zu stehen hatte und auf welcher Seite ich stand. Ich hatte einen Standpunkt und einen Horizont, eine Haltung und eine Meinung. Ich war mir ihr gewiss und sie mir sicher. Ich wusste, wer ich war.
Doch all das ließ ich mit meinem Leben vor dir, meinem fünften, zurück. Ich war ein Schwerenöter gewesen, ich spielte ihn nicht nur, wie ich es seither tat. Sex oder Liebe, ich konnte einen klaren Cut machen und so manches junge Dinge ließ ich über diese Klinge springen. Nur wenige schlitzten mir damit die Kehle auf, aber keine von ihnen sollte ich überleben – und keine mich.
Auf die Idee, meine Seelenmauer mit einem Rasiermesser zu attackieren, kamen nur die wenigsten, aber sie alle waren fast erfolgreich. Risse fügten sie ihr zu, eine tiefer als die andere und nach jeder dieser Vorgängerinnen vernarbte ich meine Mauer noch fester, aber kaum da ich deine Klinge blitzen sah, wurde sie mir unwiderstehlicher Magnet und ich stürmte auf dich zu.
Noch ehe mein Kopf wusste wie ihm geschah, hatte mein Körper seinen Nordpol gefunden und ich hasste dich für diese Kursänderung zum anderen Ufer.
Ich fand es geil nach dem Sport mit dir zu duschen und schämte mich für meines Körpers Reaktion. Warum du? Die anderen Jungs waren mir doch auch egal, und wenn es einer neben mir zum Model geschafft hätte, dann einer von ihnen, aber doch nicht du! Mit nicht einmal 24 hattest du fast schon keine Haare mehr auf dem Kopf – ein Schicksal, das sich schon in der Oberstufe nur allzu deutlich angedeutet hatte –, was dein Körper aber an fast allen anderen Stelen zu kompensieren verstand. Für einen Dreitagebart brauchtest du keine vierundzwanzig Stunden. Deine Arme schimmerten rostrot bis auf den Handrücken, und wo dein Bart im v‑förmigen Ausschnitt deiner T‑Shirts – immer trugst du T‑Shirts – verschwand, begann die schönste aus Haaren entstandene Haarspur, der ich je zu ihrem Ende gefolgt bin. Ja, du warst schlank, aber sportlich oder muskulös hätte dich niemand mehr genannt, wenn er dich einmal auch nur oben ohne gesehen hätte. Ja, du hattest Ausdauer, nicht zu knapp (o, wie mein Körper noch jetzt auf diesen Gedanken reagiert), und eine gehörige Kraft war dir auch nicht fremd, aber man sah es dir nicht an. Ein Otter im Fuchspelz warst du, mein Otter mit den haselnussbraunen Augen, und ich habe dich gehasst für deine Wirkung auf mich, mein ganzes sechstes Leben lang.
Erst jetzt begreife ich mein Vermissen, meinen fast schon körperlichen Schmerz ob des Verlustes deiner Person. Noch nie habe ich es gedacht oder gesagt, aber ich glaube, ich bin schwul, zumindest in diesem Leben. Vielleicht ist es nur eine Phase.
Mein angelesenes Schulwissen sagt, es ist okay, es ist nicht schlimm, aber dennoch habe ich Angst. Ja, du hättest mich verstanden, du schon, doch wer noch? Ich kapier’ es nicht. Wie konnte ich mich so sehr ändern? Was ist der Grund? Gibt es für mich noch einen Weg zurück? Ich denke nicht.
Weitere Beiträge findet ihr bei Dominik.
Die vorigen Teile meiner Geschichte findet ihr hier.